Zentrum für Digitale Neurotechnologie will Menschen und Maschinen enger miteinander verbinden

Computeroptimierte Operationsmethoden, die frühzeitige Entdeckung von Krankheiten durch Erhebung von Gesundheitsdaten oder auch verbesserte Behandlungsmethoden in der Geburtsmedizin: Wie die engere Verzahnung von Mensch und Computer insbesondere auf dem Feld der Medizin verbessert werden kann, erforschen Wissenschaftler der Saar-Uni, der htw saar sowie des Zentrums für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA) in Zukunft im „Center for Digital Neurotechnologies Saar (CDNS)“. Dafür erhalten sie 2,7 Millionen Euro aus Mitteln des Saarlandes sowie der EU als Startfinanzierung für die nächsten vier Jahre.

Für viele Menschen klingt es erst einmal abschreckend, wenn Wissenschaftler von der Verschmelzung von Mensch und Maschine sprechen. Doch was bei vielen Zeitgenossen dystopische Bilder von Cyborgs à la „Terminator“ oder weltbeherrschenden Maschinen wie in „Matrix“ aufblitzen lässt, birgt ungeheures (positives) Potenzial für das Leben der Menschen. Ein weltbekannter Hersteller von smarten Uhren beispielsweise wirbt aktuell damit, dass seine Uhr automatisch einen Notruf samt Koordinaten absetzen kann, wenn sie feststellt, dass ihr Träger bewusstlos im Wald zusammengebrochen ist. Datenschutzrechtliche Schwierigkeiten hier einmal ausgeblendet: Im Zweifel könnte der Uhrenbesitzer so einen medizinischen Notfall überleben, den er vor zehn oder auch nur fünf Jahren noch nicht überlebt hätte.

Die Technik, die dahintersteckt, muss vor allem eines können: Sie muss erkennen, dass die biomedizinischen Signale, die ihr Träger aussendet, einen Notruf rechtfertigen. Ist der Puls beschleunigt oder das Herz gar stehengeblieben? Ist die Atmung unregelmäßig? Befindet sich die Uhr nicht mehr, wie beim Gehen üblich, in einem Meter Höhe, sondern auf dem Boden? All diese Daten kann eine Smart Watch mittels Sensoren erfassen, die Puls, Atmung, Lage im Raum und Beschleunigung messen. Diese Daten auswerten und interpretieren kann sie dank der Algorithmen, die ihre Programmierer ihnen beigebracht haben. Überschreiten die Messdaten gewisse Schwellenwerte, wird der Notruf abgesetzt. Was vor zehn Jahren noch nach Science-Fiction geklungen hat, ist damit heute in unserem Alltag angekommen. Die Sensorik für eine solche Smart Watch stellt für Entwickler keine große Herausforderung mehr dar.

Schwieriger wird es, wenn medizinische Daten ins Spiel kommen, die erheblich komplizierter zu erheben und zu interpretieren sind. Die „Systems Neuroscience & Neurotechnology Unit“ (SNNU), die zur Medizinischen Fakultät der Universität und zur Fakultät für Ingenieurwissenschaften der htw saar gehört, erforschte in den vergangenen Jahren neurotechnologische Systeme, welche über wesentlich komplexere Vorgänge im menschlichen Körper Aufschluss geben können. Eine große Forschungsfrage der SNNU lautet etwa, wie Maschinen diese Daten sicher und datenschutzkonform nutzen können, um den Menschen besser zu verstehen und um besser auf ihn eingehen zu können. „Es freut mich, dass durch das Zentrum diese Aktivitäten nun auf eine völlig neue Stufe gehoben werden können. Durch die Startfinanzierung können Verfahren der neurotechnologischen Grundlagenforschung und Mensch-Maschine-Interaktion konsequent in die klinische Medizin übertragen werden“, erläutert Professor Daniel Strauss, der das Projekt federführend leitet.

„Durch die hochauflösende neuromuskuläre Datenerfassung werden wir Heilungsprozesse zum Beispiel nach dem Einsatz einer Knieprothese besser verstehen und in Verbindung mit künstlicher Intelligenz Reha-Konzepte individuell auf den Patienten zuschneiden können“, so der Wissenschaftler weiter. „‚Empathische Inkubatoren‘ sollen neben einer Rund-um-die-Uhr-Überwachung die Gefühlsage von Neugeborenen verstehen und auf ihre Bedürfnisse eingehen können. Künstliche Intelligenz im OP soll durch eine multimodale  Informationsübertragung – Sehen, Hören, Fühlen –  das OP-Team optimal im Rahmen einer Aufmerksamkeitsassistenz unterstützen“, nennt Daniel Strauss weitere Einsatzfelder. Weiterhin solle der Wert von neurotechnologisch gewonnen Daten im Rahmen der Mensch-Maschine-Interaktion für die Medizin, insbesondere die Präventivmedizin, sowie die proaktive Gesundheitsvorsorge untersucht werden. Es wäre zum Beispiel Verschwendung, die Daten, die in Zukunft beim Autonomen Fahren erhoben werden, um etwa das Navi per Sprachbefehl zu bedienen, nicht auch für medizinische Zwecke zu nutzen. So lassen sich aus der Stimme des Menschen bereits heute Informationen über seine Stimmung gewinnen. Das Auto könnte sich also darauf einstellen, ob der Passagier beispielsweise entspannt, gereizt oder müde ist. Ein Auto, dessen Sensoren mit künstlicher Intelligenz den Fahrer analysieren, könnte auch im Laufe der Zeit gelernt haben, ob ein ganz bestimmter Passagier einen empfindlichen Magen hat. „Weiß das Auto dann, dass ich unter Reisekrankheit leide, fährt es die Kurven etwas langsamer und bremst etwas geschmeidiger ab, damit es mir nicht schlecht wird“, erläutert Professor Strauss. Ein Auto könnte als weiteres Beispiel erkennen, ob sich der Herzschlag eines Passagiers bei einer Fahrt im Vergleich zu vorigen Fahrten verändert hat oder ob er verstärkt schwitzt, was auch auf ein medizinisches Problem hindeuten kann. All dies sollte in Zukunft kontaktlos geschehen, also mithilfe von Kameras und Mikrofonen, die ohnehin als Assistenzsysteme in den Autos verbaut sind.

„Diese grundlegende Verknüpfung von Sensorik, Menschen und Daten ist etwas, was auch die großen Tech-Konzerne nicht auf die Schnelle umsetzen können. Mit all den Milliarden, die sie zur Verfügung haben, können sie eines nicht kaufen: Zeit“, erläutert Daniel Strauss. Denn für die Erhebung und die – sinnvolle – Verknüpfung medizinischer Daten, insbesondere von komplexen Langzeitdaten – braucht man eine Menge Zeit. Das ist eine gute Nachricht für ein Forschungsprojekt, das regional betrachtet recht groß ist, im Vergleich zu den Tech-Giganten allerdings doch sehr klein. Hier kann eine Zusammenarbeit auf kleinem Raum von medizinischer Forschung, einer Universitätsklinik und ingenieurwissenschaftlichem Know-how von größerer Bedeutung sein als die schiere Masse in Form von finanzieller Kraft der Tech-Konzerne. Im hier relevanten Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion konnte im Saarland bereits ein großer Wissensschatz aufgebaut werden, insbesondere durch das Exzellenzcluster der Informatik, im Bereich der künstlichen Intelligenz und der Datensicherheit.

Diesen Umstand unterstreicht auch Universitätspräsident Manfred Schmitt anlässlich der Eröffnung: „Mit dem nun gestarteten Zentrum für Digitale Neurotechnologie versammeln sich Kompetenzen aus vielerlei Bereichen, die im Saarland seit vielen Jahren oft teils unabhängig voneinander existieren: Medizin, Biotechnologie, Informatik und Ingenieurwissenschaften haben an der Universität des Saarlandes, an der Hochschule für Technik und Wirtschaft und am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik eine lange Tradition. Insofern ist es nur folgerichtig, dass nun auch diese Institutionen, ähnlich wie die Daten, die es in den Forschungsprojekten miteinander zu verknüpfen gilt, hier miteinander verbunden werden.“  

Ministerpräsident Tobias Hans betont: „Wir erleben gerade eine Revolution in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen durch die immer engere Kooperation von Mensch und Maschine. Es freut mich, dass das Saarland an führender Stelle in der Erforschung dieser Zusammenarbeit tätig ist.“

Dieter Leonhard, der Präsident der htw saar, betrachtet das neu eingerichtete Zentrum so: „Innovative neurotechnologische Themen wie Hirn-Computer-Schnittstellen und empathische Maschinen sind meines Erachtens ein wesentliches Zukunftsthema, welches jedoch nur interdisziplinär bearbeitet werden kann. Durch die Verknüpfung wissenschaftlich hervorragend ausgewiesener Bereiche entwickeln wir mit dem Zentrum eine Struktur weiter, die einen hohen wissenschaftlichen Output und zugleich ein hohes Anwendungspotenzial erwarten lässt.  Die internationale Sichtbarkeit ist schon jetzt gut, wie Delegationsbesuche aus dem Silicon Valley, Publikationen und Konferenzen zeigen.“

Uwe Class, Global Director Advanced Human Interface Solutions beim Industriepartner ZF, sagt anlässlich der Eröffnung: „Für uns als ZF ist das Zentrum für Digitale Neurotechnologien eine wichtige, komplementäre Säule zur künstlichen Intelligenz und Cybersecurity im Saarland. Es schafft eine einzigartige Verbindung zwischen Informatik und Biowissenschaften, mit großem Potenzial für den Bereich Automotive Health.“

Das Zentrum für Digitale Neurotechnologie wird zu 40 Prozent aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und zu 60 Prozent aus Mitteln des Saarlandes mit insgesamt 2,7 Millionen Euro gefördert.

 

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